Anleitung für Einzigartigkeit

 

Flora und das Buch des Lebens

Flora begibt sich wieder auf eine spannende Reise. Diesmal möchte sie den geheimen Raum in sich finden, in dem geschrieben steht, was ihr eigener Malstil ist. Was genau sie wie malen muss, um wirklich sie selbst zu sein. So wie die anderen, die scheinbar mühelos und ganz aus dem Herzen heraus den Pinsel schwingen. Irgendwo in ihr gibt es ja dieses Buch, das Buch ihres Lebens, und ein Kapitel darin trägt den Titel:

„Anleitung für Einzigartigkeit“.

Was würde Flora jetzt dafür geben, endlich ihren eigenen Stil zu entdecken. Wiiiiiiieeeeeee lange soll das noch dauern? Sie ist nun schon so lange auf der Suche – vorgestern, gestern, heute. Immer wieder bleibt sie stehen, holt ihr Fernglas aus der Tasche und schaut in die Ferne, um eine Idee davon  zu erspähen.

Am Abend, als der Himmel in rosarotem Licht erstrahlt, sieht sie plötzlich ein riesiges, leuchtendes Tor weit hinten am Horizont. Ihr Herz macht einen Hüpfer. Jetzt ist der lang ersehnte Moment endlich da! Voller Freude springt Flora mit großen Schritten über die duftende Blumenwiese, vorbei an sich langsam schließenden Blütenköpfen, direkt darauf zu.

Doch als sie die Tür erreicht und prompt die Klinke in die Hand nimmt, stellt sie fest: Das Tor ist verschlossen. Sie rüttelt, sie klopft, sie fleht – doch nichts tut sich. Fest verschlossen und still. „Oh nein, alles vergebens…“

Enttäuscht sackt sie zusammen. Es fehlt der Schlüssel. Dabei möchte sie doch einfach nur wissen, wie sie so malen kann, dass es sich wirklich nach ihr anfühlt. Authentisch, unverwechselbar. Bei anderen erkennt sie den Stil auf Anhieb, aber bei sich selbst kommen nur Zweifel:

„Ich male sooo gern, aber nicht schön genug.“

„Ich kann immer nur Blumen malen, Fauni hat so unglaublich viele Ideen. Ich bin langweilig.“

„Mich erkennt man im Bild nicht, ich habe einfach keinen Stil.“

„Fauni kann so toll Tiere malen, das muss ich doch auch können.“

Diese Gedanken erschöpfen sie. Sie spricht so hart mit sich selbst, dass sie sich am liebsten verstecken möchte. Woher kommen nur diese gemeinen Sprüche? Warum tut sie sich das an, wenn sie doch eigentlich gut zu sich sein will? Sie könnte ein ganzes Buch damit füllen. Vielleicht sollte sie besser schreiben als malen – Ideen hätte sie genug.

Der Titel ihres ersten Buches?

„Die gemeinsten Sprüche zu dir selbst – wie beleidige ich mich am trefflichsten“.

Flora sitzt traurig in der Ecke. Sie weint viele tausend Tränen – genug, um einen ganzen Ozean zu füllen. Plötzlich erscheint ihr vor ihrem inneren Auge ein Spruch, den sie schon oft gelesen hat, aber nie wirklich verstanden. Albert Einstein sagte einmal:

„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“

Dieser Satz trifft Flora mitten ins Herz. Vielleicht kam er genau jetzt, weil sie endlich bereit ist, etwas zu verändern.

Beim nächsten Malen nimmt sie sich vor, mit dem kleinen, nervigen Kerlchen auf ihrer Schulter zu sprechen – jenem Wesen, das immer genau zu Beginn des Malens auftaucht und sie mit kritischen Sprüchen überschüttet. Sie beschließt, ihm andere Fragen zu stellen. Nicht mehr: „Was willst du schon wieder? Lass mich in Ruhe!“, sondern:

„Hey du, was treibt dich an?“

„Wozu habe ich dich früher gebraucht? Wozu hast du mir gedient?“

„Was nährt dich heute noch?“

„Was versteckt sich hinter deinen mahnenden Worten?“

„Wie kannst du mir helfen?“

„Und … warum du jetzt trotzdem gehen und die Bühne verlassen darfst…“

Mit jeder Frage fühlt es sich an, als würde ein Schlüssel ein wenig weiter ins Schloss rutschen. Langsam beginnt sich die Tür zu ihrem Herzen zu öffnen.

Flora ist angekommen. Sie spürt eine sich aus weitende Kraft in sich, rein und befreiend. Alles fühlt sich leicht an, klar und bunt wie die Farben eines Kristalls. Sie weiß: Der Weg zu ihrer Einzigartigkeit beginnt genau hier….

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